Das Bild vom sich langsam zusammenfügenden Puzzle, das nach dem Schweden-Spiel im Gespräch mit David Alaba entstand, ist eigentlich kein schlechtes.
Nicht, dass man es wortwörtlich nehmen sollte, denn ein Puzzle ist irgendwann fertig, eine Fußball-Mannschaft wahrscheinlich nie.
Aber derzeit sind viele Teile gleichzeitig vorhanden, die so mitunter vielleicht schon mal da waren, aber zu selten gleichzeitig.
Dieser Gedanke geht über die international taugliche Spieler-Qualität (zumindest des erweiterten Stamms) und die Expertise eines auch jenseits der Grenzen Österreichs anerkannten Teamchefs hinaus.
Euphorie, Stimmungslage im und rund um das Team oder internationale Erfahrung auf diesem Niveau spielen ebenso eine Rolle wie die Gier nach Erfolg, die Umsetzung taktischer Aufgaben, die Lust miteinander zu kicken, zu fighten und womöglich auch zu leiden (Copyright David Alaba) sowie die in dieser Quali erstaunliche Abgebrühtheit.
Stimmungen und Erfahrungen
Österreich ist kurz davor, sich für die dritte EURO in Folge zu qualifizieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Gesamtpaket diesmal kompletter ist als 2016 oder 2021 ist relativ hoch. So schwierig Vergleiche auch sein mögen. Zwei Beispiele:

2016 war die Euphorie wohl höher, in Nachhinein wahrscheinlich zu hoch. Dies hat zu einem Mangel an Selbstkritik bezüglich sich einschleichender Probleme geführt, der aktuell unwahrscheinlich ist. Auch eine ähnliche Naivität wie damals, als jegliche Turnier-Erfahrung fehlte, käme überraschend.
2021 spielte man die seither gewonnene Erfahrung durchaus gekonnter aus, aber so richtig für Begeisterung wie die Vorgänger-Truppe wollte die Elf von Franco Foda und ihr Fußball nicht sorgen.
Die Stimmung im und rund ums Team war nicht so, wie sie sein sollte, auch wenn man sich während des Turniers spürbar zusammenriss. Dass der Nationalteam-Laden dann in der WM-Qualifikation implodierte, ist extrem ärgerlich.
Dass stimmungstechnisch eh alles super ist, wird im Nationalteam seit Jahren und Jahrzehnten immer schon so behauptet. Was sollen die Hauptdarsteller auch anderes sagen? Mal stimmte es, mal weniger.
Ein Indiz dafür, dass es derzeit passt, ist, wie das Team in brenzligen Situationen füreinander da ist.
Rangnick spricht in Kombination mit dem Staff wohl nicht umsonst von einer "richtig guten Truppe", die sich da gefunden habe.
Verbesserungsbedarf
Das heißt aber nicht, dass alles super ist. Gerade der Deutsche sollte eine Garantie dafür sein, dass jedem bewusst ist, dass es schon noch gehörig Luft nach oben gibt und Bequemlichkeit tabu ist.
Sei es, dass viel zu selten zu Null gespielt wird (2023 nur zu Hause gegen Schweden). Gegen Aserbaidschan, Estland oder im Test gegen Moldawien gelang dies nicht. Brenzlige Situationen gemeinsam zu meistern, ist ein nettes Teambuilding. Gar nicht erst so oft in brenzlige Situationen zu kommen, aber ein möglicher nächster Schritt.
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Das Moldawien-Spiel wiederum war einmal mehr ein Indiz, dass der "zweite Anzug" noch nicht so passt, wie er das laut der vielzitierten Breite im Aufgebot könnte.
Müssen einzelne seltener eingesetzte Akteure einspringen, klappt das an der Seite der ÖFB-Stammspieler zumeist. Müssen zu viele von ihnen gleichzeitig Verantwortung übernehmen, wird es wackeliger. Dies darf man keinesfalls außer Acht lassen. Hier ist weitere Entwicklung möglich und auch notwendig.
Oder mit einem etwas weiteren Zeithorizont gedacht: So schön es ist, dass David Alaba oder Marko Arnautovic ihre Routine als Teamleader gekonnter ausspielen als jemals zuvor, ewig werden auch sie nicht mehr zur Verfügung stehen.
Aktuell ist die Altersstruktur bestens, aber das kann sich schnell ändern. Das Gefühl, dass sich genügend Akteure rund um die 20 ernsthaft in Richtung Startelf aufdrängen, muss man nicht haben. Es braucht mehr Nici Seiwalds oder Patrick Wimmers.
Es schadet nicht, diesen Hinweis von Zeit zu Zeit zu erneuern. Es mag großspurig klingen, aber um das aktuelle Niveau zu halten oder weiter zu verbessern, wird man weitere Kicker für Weltvereine ausbilden müssen. Real, Bayern, Inter oder BVB – das gehört inzwischen zum Anspruch, und das ist auch gut so. Hier würde es bei vielen heimischen Ausbildungsstätten genügend zu tun geben.
Puzzle-Teile fürs Turnier
Nicht falsch verstehen: Die aktuelle Bestandsaufnahme ist unterm Strich eine sehr positive, seit Rangnicks Amtsantritt ist viel weitergegangen. Vor allem ist eine Lust auf das Nationalteam zu spüren, von der man etwa in seiner Heimat gerade nur träumen kann.
Es ist allerdings auch gut, dass es weiteres Steigerungspotenzial gibt. Und auch die Gefahr, sich auf einem Erfolg wie einer gelungenen Qualifikation auszuruhen, erscheint diesmal geringer.
Denn seit knapp eineinhalb Jahren vergisst Rangnick bei der Nennung des Ziels Teilnahme an der EURO 2024 nie auf den sinngemäßen Zusatz: "Und dort wollen wir eine gute Rolle spielen."
Für dieses Puzzle fehlen bestimmt noch Teile. Man darf jedoch zumindest optimistisch sein, dass sie sich finden lassen.
Erstmals seit 1954 ein K.o.-Spiel bei einem Turnier zu gewinnen, bleibt jedenfalls ein schönes Ziel.